Interview
mit Iris Berben
Die Grande Dame des deutschen Films war in der Stadt, um am Zürich Film Festival den Ehrenpreis «Das goldene Auge» entgegenzunehmen und um ihren neuen Film «Das Unwort» zu präsentieren. Ein Gespräch über die globalen Veränderungen in diesem Jahr, die Generation Z, über Kritikfähigkeit sowie die Vor- und Nachteile der Digitalisierung.
Iris Berben, was bewegt Sie im Moment?
Ich glaube es ist das Thema, das uns alle umtreibt, eine Art neue Zeitrechnung. Und ich glaube, dass wir uns schon lange nicht mehr dem Trugschluss hingeben sollten, dass unsere Normalität, die von vielen so eingefordert wird, nahtlos weitergehen wird. Ich glaube, dass wir an einen Punkt gekommen sind, der überfällig war. Das Motto «höher, schneller, weiter» wird reguliert. Unsere Aufgabe im Leben, und die finde ich auch wunderbar, ist, dass wir uns immer wieder mit uns und allen Veränderungen auseinandersetzen müssen. Die Ereignisse 2020 sind deshalb so einschneidend, weil sie weltweit geschehen. Es ist etwas im Umbruch. Es stellt sich die Frage, wie wir global damit umgehen. Was mich in dieser Zeit auch stark beschäftigt, sind die Menschen, die damit allein gelassen werden. Die überfordert sind und Ängste haben. Sie sind leichte Beute für Populisten, für Menschenfänger. Denn wenn ich mir anschaue, was weltweit wieder an politischer Führung möglich ist, wenn ich darüber nachdenken muss, dass Demokratie tatsächlich wieder zur Disposition steht, dann weiss ich, dass ist eine ganz grosse Gefahr, und unsere Gesellschaft ist gefordert.
Was ist Ihre grösste Erkenntnis aus dem Jahr 2020?
Ich habe ein grosses Zusammengehörigkeitsgefühl gespürt. Ich weiss aber auch, welche Bilder von den Anti-Corona-Demonstrationen in Berlin gezeigt wurden. Das ist nur ein kleiner Teil, aber die Gefahr besteht, dass er grösser wird. Ich glaube jedoch, wir sind in einer so gefestigten Gesellschaft angekommen, dass wir auf die mehr bauen können als auf Weltverschwörer und laute, radikale und rückwärtsgewandte Spinner.
Macht Ihnen das manchmal Angst, wenn Sie so etwas sehen?
Da mich diese Themen seit vielen Jahrzehnten begleiten, kenne ich natürlich Widerstand, Beschimpfungen und Drohungen. Man lernt, damit umzugehen. Insofern macht mir das keine Angst. Es ist eine logische Fortsetzung von dem, was möglich ist. Es macht mich eher wütend.
Eines der grossen gesellschaftlichen Probleme der letzten Jahre ist auch der wieder stärker aufkommende Antisemitismus. Ein Thema, für das Sie sich schon lange engagieren und mit dem sich auch Ihr neuer Film «Das Unwort» beschäftigt. Worum geht es in der Geschichte?
In «Das Unwort» geht es um Mobbing eines jüdischen Schülers in einer Schule, in der alle Nationen und Religionen vertreten sind. Es ist ein Film, der es schaffen könnte, eine Problematik für die Menschen zugänglicher zu machen. Wir müssen immer wieder neue Wege finden, auf diese Themen aufmerksam zu machen, egal wie ermüdend oder belastend es für andere auch sein mag. Der Regisseur Leo Khasin erzählt diese Geschichte mit einer grossen Leichtigkeit. Und das ist das Schwerste. Ein schweres Thema leicht zu erzählen, ohne die Figuren dabei zu verraten. Das zeigt uns auch, wie differenziert und wie vielfältig die Diskussion und die Standpunkte aus dem jeweils eigenen Umfeld sind. Ich mochte den Film genau deshalb, weil er eben nicht diese «eine» grosse Antwort gibt, sondern den Menschen mehr oder weniger den Spiegel vorhält. Man muss sich und seine eigenen Vorurteile immer wieder überprüfen, auch wenn man sich für liberal hält. Das gilt auch für mich. Ich muss mich dieser regelmässigen Prüfung genau wie jeder andere stellen. Wenn ein Film das schafft, dann ist das schon viel. Und deshalb ist es auch so wichtig, dass es dieses Festival gibt.
Sie haben am Zürich Film Festival den Ehrenpreis «Das goldene Auge» erhalten. Was bedeuten Ihnen solche Auszeichnungen?
Man muss da unterscheiden. Es gibt Auszeichnungen, die du für deine Filmarbeit bekommst, und solche für deine Haltung oder für dein Engagement. Der Preis, den ich hier bekommen habe, hat für mich einen besonderen Stellenwert, weil er mir in einer Zeit verliehen wurde, in der das ein «wieder vorsichtiges Herantasten» an unsere Branche ist, ein «Öffnen». Es geht auch um den Wunsch, das Publikum wieder zu erreichen. Und ein Preis ist immer Podium. Wenn du einen Preis bekommst, hast du das Recht zu reden. Und das sollte man nutzen. Deshalb habe ich eine kleine Rede gehalten. Über die Kultur, warum sie wichtig ist und nicht weggespart werden darf. Wie es häufig reflexartig passiert, weil Kultur für viele etwas Elitäres ist, das ist falsch. Kultur brauchen wir wie die Luft zum Atmen. Sie ist unser Austausch, unsere Vernetzung, unser Kennenlernen und unser Erkennen. Natürlich ist man auch geschmeichelt. Man will geliebt werden, für das was man tut. Jeder! Es ist eine gute Triebfeder. Aber nicht auf Teufel komm raus und nicht von jedem. Und was ich natürlich fantastisch finde, ist, dass das Zürich Film Festival überhaupt stattfindet, das ist bemerkenswert und bewundernswert und das wollte ich den Organisatoren auch gerne persönlich sagen.
Was bevorzugen Sie persönlich: Netflix oder Kino?
(lacht) Beides! Ich glaube auch, dass beides existieren wird. Fernsehen wird bleiben, Streaming und es wird das Kino bleiben. Aber die Aufteilung wird eine andere sein. Streaming bietet den Machern ganz andere Möglichkeiten. Du kannst sehr viel mutiger und breiter in der Erzählstruktur sein. Und es ist eine bequeme und spannende Möglichkeit der Unterhaltung. Das Kino hingegen ist ein Ort der Kommunikation und deshalb für unsere Gesellschaft extrem wichtig. Wir haben nicht mehr viele Orte, in denen wir mit fremden Menschen zusammenkommen und uns quasi über eine Emotionalität verbinden. Lachen, weinen, erschrecken – was auch immer auf der Leinwand gezeigt wird. Und das ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft immens wichtig. Gerade in Zeiten wie diesen. Zusammenkommen und nicht trennen. Ich weiss, Social Distancing zwingt uns Abstand zu nehmen. Aber Nähe und Zusammengehörigkeit dürfen nie auf dem Prüfstand stehen.
Wir leben in grossen Veränderungen. Was sich aber bislang nicht verändert hat, ist die Altersfrage bei Frauen in der Schauspielerei. Leider schaffen es immer noch nur wenige, langfristig so erfolgreich zu sein wie Sie. Hatten Sie je Angst, dass Ihnen das auch passieren könnte?
Die Angst hört nie auf. Wenn ich heute 30 Jahre zurückdenke, war die 40 die magische Zahl bei der Frau, danach war meist Ende. Das hat sich verändert. Aber dass man die Angst hat, nicht mehr dabei zu sein, nicht mehr in diesem kreativen Prozess mitzumischen, welche Figur möchte ich wie spielen, wie schaffe ich sie überhaupt, welche Komplizen habe ich um mich herum, diese Angst hört nicht auf. Die Schauspielerei ist kein Beruf, in dem man ankommt, er ist immer wieder Herausforderung. Du fängst bei jedem Film wieder von vorne an. Natürlich musst du dein Handwerk können. Aber man will sich ja weiterentwickeln, deshalb ist die Angst oder die Unsicherheit ein ständiger Begleiter. Ich weiss auch, dass ich mit meinem Alter eher eine Ausnahme bin. Aber ich will, dass es keine Ausnahme mehr ist. Es sollte selbstverständlich sein, dass unsere Geschichten erzählt werden. Wir sind heute immer noch nicht in der gleichen Gehaltsstufe wie Männer. Wir sind immer noch nicht fähig, Frauen die Möglichkeit zu bieten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Wir haben noch viele Defizite und Machtstrukturen, die sich über Jahrhunderte verankert haben. An denen müssen wir arbeiten. Aber ich finde auch, dass wir Frauen uns ein gutes Selbstbewusstsein erarbeitet haben. Und wir haben viele kluge Männer an unserer Seite.
Ein wichtiges Statement, dass Sie geben. Denn auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Männer uns Frauen sehr unterstützen und nicht unser «Feind» sind.
Richtig. Das war ja eine grosse Diskussion bei der #metoo Bewegung, als ich dazu aufrief, jetzt nicht wieder damit anzufangen auszugrenzen. Das habe ich in den Sechzigern schon bei der Emanzipation gespürt. Emanzipation kann man nur mit Männern machen. Jede Veränderung muss gemeinsam erreicht werden. Ich bin mit Männern stets auf Augenhöhe und ich arbeite gerne mit ihnen zusammen. Und das schlimmste, was man machen könnte, ist wieder ein Feindbild aufzubauen. So wird es keine Veränderung geben.
Welchen Beruf haben sich Ihre Eltern für Sie vorgestellt?
Keinen. Meine Eltern haben sich früh getrennt und meine Mutter war ein überzeugter Freigeist. Sie hat mich immer unterstützt in meinem Freiheitsdenken. Da war sie ganz bestimmt eine Art Vorbild für mich. Sie hat in einer Zeit, die sehr ungewöhnlich war, sehr selbstbestimmt gelebt. Und diese Selbstbestimmtheit ist mir das Wichtigste. Als junge Frau wollte ich eigentlich Jura studieren, aber es wurde ein ganz anderer Weg.
Ist das auch etwas, was Sie gerne der jungen Generation weitergeben wollen? Selbstbestimmtheit und für sich einstehen?
Unbedingt. In meinen Augen ist die grösste Freiheit, die man haben kann, Selbstbestimmung. Aber es ist nicht ganz einfach über «eine» junge Generation zu sprechen. Sie ist so vielfältig wie das Leben. Es gibt eine Greta Thunberg und ihre Anhänger, die sich mit grösster Kraft den Problemen unserer Umwelt verschrieben haben, also eine sehr politische Jugend. Und es gibt junge Menschen, die glauben, sich an Vorbildern zu orientieren, die sich auf Youtube-Kanälen ziemlich eindimensional präsentieren. Sich die Messlatte von aussen vorgeben zu lassen, ist nicht erstrebenswert. Mach deine eigene! Sei unverkennbar, weil du eigen bist. Man hört nie auf an sich oder am Leben zu arbeiten. Man muss mit Schicksalsschlägen fertig werden, mit Liebe, mit Erfolg und Misserfolg, mit Verlust. Und dieser Umgang wird sich mit der Zeit auch verändern. Ich würde jungen Menschen immer sagen, bleib bei dir, schau dir aber viel an. Geh mit offenen Augen durch die Welt. Hab keine Angst vor Fremdem, Neuem. Eigne dir an, was dir gefällt, erkenne deine Stärken und Schwächen und lerne mit beidem umzugehen. Aber lass dir nicht von anderen sagen, was deine Schwächen sind. Die findest du schon selber raus! Dann kann man die Welt erobern, denn es gibt so viel Inspirierendes.
Wer darf Ihnen sagen, dass Sie falsch liegen?
Erstmal finde ich es grundsätzlich wichtig, dass man korrekturfähig bleibt, egal was man sich erarbeitet hat. Wer mir sagen darf, dass ich falsch liege, hängt natürlich auch davon ab um was es geht. Selbstverständlich ist mein allernächstes Umfeld relevant für mich, weil man da am unverstelltesten ist. Und wenn dir da jemand etwas sagt, sollte man sich schon damit auseinandersetzen. In der Branche werden es immer Menschen sein, bei denen ich das Gefühl habe, das sie diesen Beruf mit aller Leidenschaft und Respekt ausüben. Du willst ja, dass dich kluge, wissende und kennende Leute kritisieren, Menschen, die wissen wovon sie sprechen. Es sollte nie das Gefühl aufkommen, dass etwas anderes dahinterstecken könnte.
Gibt es Themen, bei denen Sie Ihren Standpunkt haben und von dem nur schwer abrücken würden?
Ich habe grosse Schwierigkeiten, mich mit Dummheit auseinanderzusetzten (lacht).
Welcher Mensch kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Wort «erfolgreich» hören?
Da kommt mir mein Sohn in den Sinn. Er ist seinen Weg sehr konsequent gegangen. Oliver ist analytisch, sehr selbstbewusst, viel strategischer als ich. Er hat die Fähigkeit Menschen in dieser Branche für Themen, Zusammenkunft und unerwartete Besetzungen zu begeistern. Er ist leidenschaftlich, genau und klug. Also wenn ich an Erfolg denke und den Weg dahin, denke ich an ihn.
2020 ist auch ein Jahr, indem die Digitalisierung noch stärker in den Vordergrund gerückt ist. Wie digital ist Ihr Alltag?
Nicht sehr. Meine Hilfen sind mein iPhone und mein iPad. Ich bin immer noch ein haptischer Leser, habe meine Süddeutsche Zeitung aber selbstverständlich auch auf dem iPad. Ich selber bin in keinen Sozialen Medien. Aber ich bin voll informiert, gerne dabei und schätze die Digitalisierung, den ganzen Weg dorthin und die Technik, die uns ermöglicht, das in einer klugen Weise zu nutzen und leider auch oft in einer sehr schändlichen Weise. Aber das gab es immer bei allen Errungenschaften.
Wie oft am Tag schauen Sie trotzdem auf Ihr Handy?
Nicht oft. Das Handy dient für mich zur Kommunikation zu meinem Büro und zu meinen engsten Menschen. Meine Nummer haben wenige; ich bin nur für einen kleinen Kreis erreichbar. Insofern ist es ein Accessoire, das da ist, das hilfreich ist und mir mein Leben erleichtert.
Welches Lied haben Sie zuletzt gehört?
«Chuva» von der portugiesischen Sängerin Mariza. Sie ist für mich eine der spannendsten Sängerinnen, denn sie ist eine derjenigen, die den Fado wieder modern gemacht haben! Ich bin viel in Portugal, bin dort gross geworden. Dieses Lied hat mir jemand zugeschickt und seitdem höre ich es rauf und runter. Es ist diese Ernsthaftigkeit der Menschen in Portugal, diese «Saudade», diese ewige Sehnsucht, sie besingt den Regen mit einer Stimme und einer Kraft – Gänsehaut! Müssen Sie unbedingt hören.
Sie sind für zwei Tage in Zürich. Was verbinden Sie mit der Stadt?
Natürlich das Zürich Film Festival, auf dem ich schon einige Male war. Dann habe ich vor 45 Jahren «Die himmlischen Töchter» hier gedreht, war damals einige Zeit in der Stadt. Ich habe Lesungen hier gemacht, auch politische. Es hat mich immer gefreut, dass ich dazu auch hier eingeladen werde. Ich erinnere mich gerne an die Auftritte mit Daniel Hope. Und ich liebe Zürich, weil der Diogenes Verlag hier ist (lacht). Ich bin ein Büchermensch. Ich kannte schon Daniel Keel, den Begründer und jetzt Phillipp Keel, seinen Sohn und werde beschenkt mit Büchern noch bevor sie erscheinen, was grandios ist. Ich finde diesen Verlag einfach grossartig! Das ist für mich Zürich.
Im Moment sitzen wir hier in einem der schönsten Hotels der Schweiz. Jemand der soviel reist wie Sie – wann fühlen Sie sich in einem Hotel wirklich wohl?
Wenn der gesamte Service selbstverständlich und nicht aufgesetzt ist. Ich brauche einen 24- Roomservice, weil wir während Filmproduktionen merkwürdige Drehzeiten haben. Und ich liebe Hotels, wo ich Schalter bedienen kann. Inzwischen braucht man ja oft eine Bedienungsanleitung, um das Licht anzumachen. Bitte, macht einfache Schalter (lacht). Das Dolder ist ein Juwel, ein Ort wie dieser ist ein Geschenk, das sind kleine, grosse Fluchten aus dem Alltag.
Welches Getränk bestellen Sie beim Bartender?
Einen Port Tonic! Kennen Sie den?
Ja, aus Portugal, richtig?
Genau. Der Portwein ist ja dort beheimatet. Weisser Port, Tonic, viel Eis, ein bisschen Zitrone – grandios!
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich habe keine Wünsche. Mir wurden so viele Wünsche erfüllt, die ich mir noch nicht mal gewünscht habe. Ich möchte einfach noch lange dabei sein, wach bleiben und das Leben geniessen. Ich liebe das Leben!